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Am Scheidepunkt

Stellungnahme zum Haushaltsplanentwurf 2023
Christoph Boll, UWG-Fraktionsvorsitzender

Liebe Kolleginnen und Kollegen des Kreistages,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
geschätzter Landrat Dr. Sommer,

„Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen.“ Viele kennen diesen Refrain der 1922 von dem Varietékomiker Robert Steidl verfassten „Hymne der Inflationszeit“. Für FAZ Mitherausgeber Frank Schirrmacher war die Botschaft des Textes klar: Die Lebensleistung der Alten sei gerade gut genug, um verschwendet zu werden.
Ich will gar nicht von Verschwendung sprechen. Aber ein wenig erinnert die Beratung des Kreishaushalts 2023 an den eben zitierten Refrain. Allerdings mit einem Unterschied: „Unsrer Oma ihr klein Häuschen“ ist immerhin ein vorhandener Wert. Man hat also nur das Ersparte der Vorgeneration verzehrt. Wir aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehen daran, nicht unsrer Oma ihr klein Häuschen zu versaufen, sondern das unserer Kinder und Enkel. Wir leben derart auf deren Kosten, dass sie es gar nicht zu einem Häuschen bringen können.

Der erste Vorwurf geht dabei an die Landesregierung. Sie schreibt vor, die mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine
verbundenen Kosten – einschließlich der Mehraufwendungen für die Energieversorgung – zu isolieren. Im Klartext: Die Ausgaben
werden ausgeblendet und erst in Zukunft bezahlt. Im Kreishaushalt 2023 sind das rund 14 Millionen Euro. Wir halten diese
erzwungene Abkehr von bisherigen bewährten haushalterischen Grundsätzen des Kreises für falsch und – wie es auch im
Vorbericht zum Haushalt richtig bezeichnet wird – einen Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit.

Die nächste falsche Entscheidung ist der konsumtive Verzehr der Schulpauschale in Höhe von 2,2 Millionen Euro, obwohl wir insgesamt 6,5 Millionen Euro investieren für die Erweiterung des Berufskollegs Rheine und den Anbau an der Peter-Pan-Schule in Ibbenbüren-Dörenthe. Wir nehmen also 2,2 Millionen Euro mehr Kredit auf als notwendig und müssen dafür künftig hohe Zinsen zahlen. Ein weiteres unnötiges verschieben finanzieller Lasten in die Zukunft bzw. auf unsere Kinder und Enkelkinder.

Ist es ein Zufall, dass alle bisherigen Planungen und Entscheidungen dazu führen, dass die finanzwirtschaftlichen Probleme ab 2026 kumulieren, also erst nach der nächsten Kommunalwahl? Oder ist es Zeichen der Unfähigkeit oder eines mangelnden Willens zur Lösung auf allen Ebenen? Das Verschließen der Augen, meine Damen und Herren, führt nicht zum Verschwinden der Probleme. Sie nehmen sogar zu. Das dicke Ende kommt, ganz sicher. Bereits jetzt werden Stimmen laut, die angesichts der immens wachsenden Schulden auf allen staatlichen Ebenen von einem neuen Lastenausgleich sprechen, also von einem Zwangszugriff auf Eigentum und dem Eintragen einer Zwangshypothek in Immobilienbesitz. … Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen.

So zeigen mehr als 25,2 Millionen Euro Investitionskredite im Etat des kommenden Jahres einerseits die Handlungsfähigkeit des Kreises und den Willen zur aktiven Zukunftsgestaltung. Das ist eine positive Absage an jede Form von Fatalismus. Aber die Vorhersage eines Schuldenstandes von nahezu 100 Millionen Euro im Jahr 2025 ist zugleich besorgniserregend. Für die gesamte kommunale Familie wird es in Zukunft immer schwieriger. Steigende Zinsen werden die Situation weiter verschlimmern und etliche Gemeinden werden in die Haushaltssicherung rutschen.
Ich weiß, dass das viele nicht hören wollen. Für sie sind die absehbaren Folgen so wenig vorstellbar wie es der Abschied von dem Irrglauben an ein konfliktfreies Europa lange Zeit war. Wunschdenken und Vertagen der Probleme, meine Damen und Herren, sind so wenig eine Lösung wie das Motto „Mit Tanz und Gesang ins Verderben“. Sie verstellen nur den Blick auf Notwendigkeiten.

Schon der vorliegende Haushaltsentwurf beinhaltet massive Risiken. EnergiekostenEntwicklung und weitere Folgen des Ukraine-Krieges sind nicht absehbar. Gestörte Lieferketten belasten die Wirtschaft. Es droht eine Rezession. Nur mal nebenbei: Rezession heißt Vermögensverzehr. – Wir versaufen ….“

Bereits der im Etatentwurf geplante Hebesatz der Kreisumlage von 29,7 Prozent war immer noch moderat. Dank etlicher Verbesserungen werden wir nun wohl unter der 29-Prozent-Marke landen. Das ist gut. Aber die deutliche Erhöhung des Zahlbetrages für die Städte und Gemeinden tut weh. Auch wenn wir sehen, dass die drastisch steigende LWL-Umlage dazu fast die Hälfte beiträgt. Aber das war schon vor einem Jahr absehbar, um nicht zu sagen angekündigt. Und auch die Fortsetzung dieses Trends ist bereits avisiert.

Meine Damen und Herren der Verwaltung, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns darauf einstellen und können nicht mehr nach der lange praktizierten Devise von Kindern im Sandkasten verfahren „Gib du mir ein Schüppchen, geb´ ich dir ein Förmchen.“ Das wird unter dem Strich für die Bürger immer besonders teuer. Ein Blick auf die weitere Entwicklung zeigt uns, dass wir am Scheidepunkt stehen. Wenn wir nicht wollen, dass uns als Kreis und auch unseren Gemeinden und Städten ab 2026 die Finanzsituation vollends entgleitet, um nicht zu sagen um die Ohren fliegt, müssen wir heute gegensteuern.

Dabei verhehle ich nicht, dass Gestalten in Zeiten der Krise – richtiger gesagt: multipler Krisen – mehr als eine Herausforderung für die Verwaltung und den gesamten Kreistag ist. Coronapandemie, russischer Angriffskrieg auf die Ukraine, Betreuung der Flüchtlinge und deren soziale Unterstützung, massive Inflation und Energiekostensteigerungen, Klimawandel – das ist schon anstrengend. Wir wollen nicht nur diese Brandherde meistern, sondern daneben, zumindest mehrheitlich, noch soziale Gerechtigkeit und den ÖPNV ausbauen, den FMO finanzieren und die Digitalisierung vorantreiben. So erhöhen sich die Ausgaben für den Klimaschutz im Vergleich zum Vorjahr um rund 50 Prozent.

Wenn wir solche Spielräume erhalten wollen, müssen wir aber auch an anderer Stelle reduzieren, auch wenn es weh tun könnte. Dabei ist jedoch die Erwartung, der Zahlbetrag der Kreisumlage könne gleich bleiben, illusorisch. Inflation, Tarifabschlüsse und allgemeine Kostensteigerungen lassen ihn zwangsläufig steigen. Vor diesem Hintergrund werten wir das nach langen Jahren erstmalige Sinken der prozentualen Jugendamtsumlage bei einem moderaten Anstieg des Zahlbetrags als positives Zeichen.

Das gerade Gesagte aber, meine Damen und Herren der Verwaltung, ist kein Freifahrtschein. Wir sind äußerst unzufrieden mit der Entwicklung der Kosten im Personaletat. Ein geplantes Plus von 7,8 Millionen, davon knapp 4,6 Millionen für den laufenden Personalaufwand, tut mehr als weh. Eine Vermehrung um 70 Stellen geht gar nicht, auch wenn gut die Hälfte davon refinanziert ist. Denn wir wissen alle: Fällt die Refinanzierung irgendwann weg, bleiben die Stellen dennoch erhalten, weil sich keine Mehrheit zum Abbau findet.

Wir brauchen dringend eine nachhaltige Dämpfung des Kostenanstiegs im Personalbereich. Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und ganz besonders von der CDU, hilft aber nicht, in letzter Minute mit einer Streichliste zu kommen, die in erster Linie ein aktionistischer Kotau vor den Bürgermeistern mit dem eigenen Parteibuch ist. Als solchen entlarvt sie die Erklärung, die Verwaltung solle ihre Stellenanforderung nur gut begründen, dann werde man zum Unwesen der unterjährigen Stellenbesetzung zurückkehren. Da wird Sparwille suggeriert und die Öffentlichkeit getäuscht, um über die Hürde unliebsamer Entscheidungen hinwegzukommen.

Wir haben eine äußerst motivierte und leistungsstarke Verwaltung. Ihre Stellenwünsche waren durchaus gut begründet. Wo die UWG sie ablehnt, geht es stets um Fragen des Standards oder weitere freiwillige Leistungen. Wir sagen klar: Gemacht wird so viel wie mit dem vorhandenen Personal realisierbar ist. Das bleibt vielleicht manchmal hinter dem Wünschenswerten zurück, ist aber finanzierbar. Und es bewirkt bei richtigem Ressourceneinsatz viel.

Ich wiederhole deshalb meine Aussage aus dem Vorjahr: Wir müssen nicht immer neue Wasserköpfe schaffen und bestehende weiter wachsen lassen. Wir brauchen nicht einen Stab von Mitarbeitern im Integrationszentrum, der nicht Integration leistet, sondern die Integrationsarbeit anderer verwaltet. Beschleunigen wir den eigenverbrauchsoptimierten Aufbau von Photovoltaikanlagen auf kreiseigenen Dächern, aber schaffen wir nicht weitere Stellen für Photovoltaik-Berater.

Zugleich bedarf es dringend einer Aufgabenkritik. Das gilt, wie von der UWG vielfach angemahnt, ebenso für die Wirtschaftsförderung wie für andere Aufgaben bis hin zum Sozialbereich. Dort gibt es Tätigkeiten, die von anderen mindestens ebenso gut wahrgenommen werden und keine Pflichtaufgabe sind – von Schuldnerberatung bis Existenzgründungsberatung. Für die Wirtschaftsförderung drängt sich eine kritische Bestandsaufnahme gerade jetzt auf, bevor eine neue Führungskraft berufend wird.

Die von den Bürgermeistern geforderte vollständige Auflösung der Ausgleichsrücklage ist falsch. Sie verbietet sich bereits angesichts der schon skizzierten massiven Haushaltsrisiken, aber auch um eine kontinuierliche, gleichmäßige und planbare Entwicklung der Kreisumlage ohne große Brüche und Sprünge zu ermöglichen. Das wird in den kommenden Jahren schwierig genug.
Die UWG ist bereit, die Entnahme aus der Ausgleichrücklage, die gegenwärtig rund 15 Millionen Euro beinhaltet, gegenüber dem Etatentwurf um 3 auf 5 Millionen Euro zu erhöhen. Im Gegenzug wollen wir die investive Nutzung der Schulpauschale, um so wenigstens die Verlagerung von Finanzlasten in die Zukunft etwas zu mildern. Das führt im Ergebnis trotz aller genannten Vorbehalte zu einem soliden, sozial ausgewogenen und äußerst gemeindefreundlichen Kreishaushalt 2023, der die Städte und Gemeinden um fast 800.000 Euro mehr entlastet als dies der Verwaltungsentwurf vorsieht. Er bewahrt zugleich Gestaltungsspielräume für die Zukunft, die allerdings deutlich geringer werden. Schade, dass die Mehrheit des Kreistages dies ablehnt.
Die UWG dankt allen Mitarbeitern der Kreisverwaltung für ihr Engagement in einer schwierigen Zeit. Sie setzen sich zusammen mit dem Kreistag beständig für die Bürger ein. Ein besonderer Dank gilt jenen, die an der Aufstellung des Haushaltsplans beteiligt waren oder uns im politischen Ehrenamt unterstützen.

Meine Damen und Herren, momentan geht es darum, Oma ihr klein Häuschen zu bewahren, und nicht darum, es zu einer Villa oder gar einem Schloss umzubauen. Auch wenn Sie uns diese Entscheidung schwer gemacht haben, stimmt die UWG dem Haushalt zu und wünscht jedem „Bleiben Sie gesund“.

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